“Ich guck immer so Faltig am Hals”

Photo: Unsplash

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Meine Freundin und ich hatten gestern Abend viel Spaß, als wir noch zusammen vor dem Dom saßen und uns einen Schlummertrunk gegönnt haben. Dabei kamen wir auf das Thema Fotos zu sprechen, und ich erzählte, wie traurig ich neulich geworden bin, als ich dieFotos von einem wunderschönen Tag anguckte, auf denen ich ganz fürchterlich aussah.

Ich beneide immer wieder die Klostermitglieder von Plum Village (dem Kloster von Thich Nhat Hanh), weil sie sich zum einen keine Gedanken über Kleidung machen müssen, denn sie tragen immer eine ihrer zwei Roben. Zum anderen sind sie dazu angehalten, nicht, oder zumindest nicht so oft, in den Spiegel zu schauen. Für mich ist das eine unglaublich erstrebenswerte Lebensweise.

Vor ein paar Jahren hat mein Haar begonnen auszufallen. Anfangs habe ich mich noch bemüht, herauszufinden, warum. Aber mittlerweile ist klar, dass es bei mir so viele Ursachen gibt, die den Haarausfall bewirken, dass es sich sowieso nicht “abstellen” lässt. Ich muss also lernen, damit zu leben.

Zur Zeit geht das für mich am besten, wenn ich so wenig wie möglich in den Spiegel schaue, und meinen Haaren sowenig wie möglich zumute (Fönen, Haarschaum, etc.).

Auch meine Gesichtshaut ist gleich von zwei Krankheiten in Mitleidenschaft gezogen und so habe ich oft ein sehr auffälliges Hautbild.

Und dann noch das zunehmende Alter und das Kinn, dass ich von meiner Oma geerbt habe und eben gar kein Kinn ist, sondern ein fließender Übergang von Gesicht zum Hals.

Das Schöne ist, dass mich das eigentlich gar nicht mehr so wahnsinnig stört. Sogar morgens im Spiegel, wenn ich mich eincreme oder mir die Haare kämme, kann ich mir ernstgemeint und liebevoll zulächeln.

Das was mir wirklich schwer fällt zu betrachten, sind mittlerweile Fotos von mir. Hier kann ich in die Realität auch noch reinzoomen, so dass ich alle Kleinigkeiten ganz genau betrachten kann.

Das hat alles so gar nichts mit “meinem Lebensgefühl” zu tun. Kennst Du das? Dieses ganz klare Gefühl Deiner Selbst, was blutjung und lebendig ist? Bei mir ist “mein Lebensgefühl” ungefähr 25 Jahre alt und es fühlt sich gut an, wenn ich es spüre.

Wenn ich dann aber mit Bildern von meinem Äußeren konfrontiert werde, wohlmöglich noch groß gezoomt, dann prallt “mein Lebensgefühl” auf das, was ich doch gar nicht “bin”.

Heute waren auf der Piazza von Santo Spirito viele Stände mit Kleidern und ich habe mir schon wieder etwas gekauft.

Worum geht es mir da, wenn ich mir “etwas Schönes” kaufe? Ich glaube es geht mir um das Lebensgefühl, das das Kleidungsstück verkörpert. Und wenn es mir nicht “steht”? Was bedeutet das? Wer entscheidet das? Wie kommt es, dass man sich etwas im Urlaub kauft, das man zuhause nie wieder anzieht?

Ich würde mich wohler fühlen, wenn ich nicht in den Spiegel gucken müsste und mich einfach so anziehen dürfte, wie ich mich wohlfühle - innerlich!

Aber natürlich mache ich mir da was vor: Ich fühle mich in bestimmter Kleidung wohl, gerade weil ich hoffe, dass ich in ihr eine bestimmte Rolle bediene, ein bestimmtes Bild abgebe.

Wenn ich dann die Fotos von mir sehe, entsprechen diese eben nicht (mehr) meinem Schönheitsideal.

Das Phänomen kenne ich ja auch schon seit Jahrzehnten: Ich erinnere, wenn ich mir Fotos von früher angucke, dass ich mich auf einigen von ihnen (gelinde gesagt) nicht gut getroffen fühlte. Aus heutiger Sicht finde ich die Bilder von mir wunderschön und kann meine damaligen Gedanken nicht mehr nachvollziehen.

Ich fühle mich momentan leider noch gar nicht in der Lage, als könne ich mich mit meinem Kinn, meinem Haarausfall und meiner Gesichtshaut anfreunden, aber in 20 Jahren werde ich wahrscheinlich denken: “Mein Gott, was war ich jung! Und so viele Haare hatte ich damals noch und so schlank!” :-)

Es ist halt wie immer eine Sache des Blickwinkels. Was möchte ich darstellen und welches Bild stellt sich dar von mir und wie bewerte ich es.

Ich denke da liegt der Hase im Pfeffer: Wie bewerte ich das, was ich sehe!

Hier ist wahrscheinlich viel mehr Liebe gefragt. Ich habe meine Oma mit diesem fürchterlichen Kinn geliebt, denn es war gar nicht fürchterlich (war damals ja auch noch nicht meins), es gehörte zu meiner lieben Oma, wie ihr großer Busen, an den man sich so schön kuscheln konnte und ihre weiche, alte Haut und ihr schütteres, bis zu ihrem Tot immer noch haselnußbraunes Haar und ihre langen Ohrläppchen, vom jahrzehntelangen Tragen der Perlenohringe ganz schwer geworden. Meine liebe Oma! Wenn ich es schaffe meinem Kinn so viel Liebe entgegen zu bringen, wie dem Kinn meiner Oma (was es ja eigentlich sowieso auch ist), dann habe ich es geschafft.

Nie habe ich meine Oma über ihr Kinn lamentieren hören, nie darüber, dass sie zu dick sei oder, dass ihre Ohrläppchen ausgeleiert waren. Vielleicht war ich aber auch nicht ihre Ansprechpartnerin für diese Themen. Aber ich hätte ihr gewünscht, dass sie sich so hat lieben können mit all diesen “Features”, wie ich sie geliebt habe und es immer noch tue.

Und das wünsche ich mir für mich auch. Mein Doppelkinn, meine altwerdende Haut, meine hohe Stirn und meine lichten Schläfen, meine weichen Oberarme, meine weißen Unterschenkel mit den blauen Adern und all das andere, was hier gar nicht genannt werden mag.

All das möchte ich gerne lieben lernen, weil es zu mir gehört und viel mehr noch: Teil meines wunderbaren Körpers ist, der mir zwar nicht mehr alles, aber immer noch so unglaublich viel ermöglicht, was das Leben so unglaublich schön und lebenswert macht!

Ich denke Liebe und Wertschätzung ist die Formel für gute Fotos von mir! Und solange ich das übe, werde ich einfach mit viel Gelächter diese großartige Pose einnehmen, bei der ich so unglaublich gut aussehe ;-)

Also, seid lieb zu euch und schenkt euch ein Lächeln, wenn ihr euch das nächste Mal wiederseht!
Ich werde es auch wieder versuchen.

Viele Grüße aus Florenz
sendet Euch
Eure Katrin

 

Heute Mittag in dem Bardini Garten

 
 
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Heute mal ein ganz anderer Tag