Wieder zu Hause - und jetzt?
Hinfahrt (09. Juni 2022)
Heute vor einer Woche bin ich aus Florenz wiedergekommen.
Jetzt sitze ich gerade wieder im Zug auf der Fahrt zu einem weiteren Teil meines Trainerseminars für Achtsame Kommunikation - Zeit zum Schreiben.
Die erste Woche war "komisch". Unser Haushalt ist derzeit sowieso um eine Person dezimiert und in den letzten Tagen war ich nun ganz alleine in unserer Wohnung. Ich konnte es teilweise genießen, ungestört zu sein, aber andererseits war da auch wieder ein Gefühl von Unzufriedenheit und Frustration: Irgendwie hatte ich mir vorgestellt, dass sich Dinge "nach Florenz" verändern würden. Das haben sie sicherlich auch, aber nicht so, wie ich es mir bilderbuchhaft vorgestellt hatte.
Ich habe immer wieder und immer wieder und immer wieder diese Vorstellungen und Bilder in meinem Kopf, die sich dann aus den verschiedensten Gründen nicht erfüllen. Die Schuld daran gebe ich gerne mir, obwohl es wahrscheinlich viel sinnvoller wäre, wenn ich irgendwie versuchen würde, an meinen Vorstellungen und Bildern zu arbeiten, daran, meine Erwartungen an mich selbst runterzuschrauben.
Direkt als ich zu Hause aus dem Auto gestiegen bin, machte sich interessanterweise ein mir sehr gut bekanntes Rheumasymptom schlagartig bemerkbar: Mein Kälteschmerz am Schädel. Ich bin sehr kälteempfindlich. Kälte, und die beginnt in meiner Begrifflichkeit schon bei ca. 14-10 Grad. Auch im Frühjahr laufe ich bei 10 Grad noch mit Handschuhen rum, da ich ansonsten die Auswirkungen eines Raynaud-Syndroms zu spüren bekomme: Durchblutungsstörungen in den Fingern, die Schmerzen auslösen.
Mützen trage ich fast das ganze Jahr, sogar nachts im Bett, da ich gerne bei offenem Fenster schlafe und mich der Kälteschmerz am Schädel auch dann beschäftigen würde.
In Florenz waren die Temperaturen ja die ganze Zeit sehr sommerlich, so dass ich meine Mützen gar nicht brauchte. Ich hatte diese Art des Schmerzes schon ganz vergessen, bis ich zu Hause aus dem Auto stieg und der Schmerz schlagartig wieder da war.
Nun habe ich zum ersten Mal einen direkten Vergleich, wie Klima und mein Rheuma zusammenhängen.
Ich bin in Florenz bei 34 Grad in den Flieger gestiegen und in Hamburg bei 14 Grad wieder ausgestiegen. Mich hat das sehr fasziniert, dass ich sofort einen Response auf diese Veränderung bekommen habe.
Am Freitagabend begannen Schmerzen im Ellenbogen. Auch das kenne ich schon seit Jahren. Die Schmerzen gehen mit einer Bewegungseinschränkung einher und kommen genauso unvermittelt, wie sie irgendwann wieder gehen. Ich arbeite dann mit Ibuprophen, um Entzündung und Schmerzen im Zaum zu halten.
Mir ist nicht ganz klar, ob auch das Wiederauftauchen dieses Symptoms mit "dem Klimawandel" zu tun hat, aber ich hatte die vier Wochen im warmen Florenz kaum, bis gar keine Rheumabeschwerden.
Nun gut, ich werde deswegen keinen Umzug nach Italien ins Auge fassen, aber interessant ist es schon, warum ausgerechnet jetzt sich das Rheuma wieder bemerkbar macht.
Ich war bis 30 Minuten vor der heutigen Zugabfahrt nicht sicher, ob ich wirklich fahren kann, will es aber mit viel Muße und Langsamkeit und einer gehörigen Portion Selbstmitgefühl versuchen. Mal sehen, wie ich "damit fahre" ;-)
Ja, das liebe Selbstmitgefühl! Davon hätte ich in der vergangenen Woche gerne ein bisschen mehr für mich gehabt.
16:47 Uhr:.... gerade kommt die Durchsage, dass mein IC nicht weiterfahren kann, da die Strecke bis auf unbestimmte Zeit gesperrt ist - Personen im Gleis. ....
16.48 Uhr: gerade rollen wir weiter ...?
Ich schaue aus dem Zugfenster: Der Holunder blüht. Grüne Hügel ziehen vorüber. Die Farben sind satt, das Getreide steht hoch und riesige weiße und hellgraue Wolkenberge, deren Ränder vom Sonnenlicht leuchten, schieben sich über den Himmel. So viele Bäume, so viel Grün, dass ist meine Heimat (im weitesten Sinne , bin nämlich schon in Osnabrück ;-) Diese Landschaft liegt mir näher am Herzen, als die trockene Kargheit der Toscana, auch wenn ich sie wunderschön finde, und das Klima angenehmer für Rheumatiker zu sein scheint.
Ich wollte ja nicht mehr so ultimative Aussagen machen (- Das ist auch wieder eine ultimative Aussage ;-). Aber momentan genieße ich den Ausblick auf Eichen und Birken, und die vielen verschiedenen Arten von Laubbäumen, die ich gar nicht kenne.
Sie säumen die Äcker, Wege und Straßen und bilden grüne Wälle um Bauernhöfe, die bei mir das Gefühl von Geborgenheit nähren. Sie ziehen sich wie grüne Bänder durch die Landschaft oder tauchen als kleine Inseln auf einer Hügelkuppe oder inmitten eines Ackers auf. Am schönsten finde ich die kleinen Alleen von Grün, die sich an den Ufern kleiner Bäche oder Flüsse entlangziehen.
Weite, flache, grüne Hügellandschaft, so offen und grenzenlos und darüber der unendliche Himmel mit den sich ständig verändernden Wolkenbildern.
Okay, also was ist es, wofür es mir so schwer fällt mir selbst Mitgefühl zu schenken: Ich wollte doch mehr kochen, mehr putzen und die Wohnung schöner gestalten, mehr in die Natur gehen, die ich ja angeblich so toll finde (boah!), ich wollte mehr an meiner Website arbeiten, wollte mich auf dieses Wochenendseminar vorbereiten, wollte mich mit FreundInnen treffen.
Und, was habe ich stattdessen gemacht? Mich gepflegt und mich pflegen lassen! Ich habe "quality time" mit meiner Mutter verbracht - seit Monaten mal wieder! Ich habe meine Katze genossen, habe entdeckt, dass ich gerne vor mich her summe, wenn es mir nicht gut geht, weil es mich tröstet. Ich habe die Wonne gefühlt, die es mir bereitet, wenn ich das Teelicht meines Stövchens anzünde, weil es für mich "me time" bedeutet, Muße, Langsamkeit, Ruhe, Auszeit, Erholung, Genesen.
Ich habe ein wenig meiner Alltagsroutine genossen und den Komfort meines Meditationskissens und meiner Feldenkrais-Matte.
Meine Unzufriedenheit zeigt mir, welche Bereiche meines Lebens mir wichtig sind, wohinein ich meine Energie geben möchte.
Es braucht "nach Florenz" gar keine großen Veränderungen. Florenz fließt ganz behutsam in meinen Alltag hinein und verändert klein, klein, wahrscheinlich ohne dass ich es unbedingt bemerke, mein Leben.
Ich freue mich, wenn ich nach diesem Wochenende wieder nach Hause komme und erstmal nicht wieder verreisen muss, sondern mein Zuhause genießen kann, meine liebgewonnenen Alltagsrituale wieder aktiviere. Ich freue mich darauf, mich darin zu üben, liebevoll mit mir zu sein, wenn meine Energie nicht ausreicht, um all die tollen und schönen Dinge zu tun, die mein Leben erfüllen.
Ich möchte lernen, darauf zu vertrauen, dass es vielleicht auch oft gar nicht ums Tun geht, sondern, wie so oft, vielmehr ums SEIN.
Ich habe in den vergangenen Tagen noch etwas gemacht: Ich habe ein bestimmtes Video gesucht. Das Video stammte aus dem Jahr 2010 und ich musste dazu stundenlang in den Tiefen alter Festplatten wühlen und bin dabei auf viele andere Filme und Fotos gestoßen.
Da kamen immer wieder zwei sich wiederholende Gedanken auf: 1. Wieso, so scheiße sah ich doch gar nicht aus! und 2. "Da sitze ich neben meinem wunderbaren Kind und ich beachte es gar nicht 24/7!"
Zu dem ersten Gedanken habe ich ja bereits einen Blogpost hier im Florenz Blog geschrieben.
Der zweite Gedanke beinhaltet das Gefühl von Wehmut, Traurigkeit und Reuhe: Ich hätte die Zeit mit meinem Kind mehr genießen müssen! Meine Innere Kritikerin schreit mich an: "Siehst Du da! Wieder eine Szene in dem Video, in der Du Deinem süßen Kind keine Aufmerksamkeit schenkst! - Ein Moment, den Du versäumt hast mit Deinem Kind. Ein Moment, den Du nicht mit ihm gehabt hast und der für immer verloren ist!"
Ja, ja, sie ist streng meine Innere Kritikerin. Nancy heißt sie übrigens, nach Nancy Reagan.
Das ist natürlich totaler Quatsch, das weiß ich. Statt meine Zeit mit Bedauern verpasster Momente zu verbringen, möchte ich mein Bewusstsein schärfen, dass die Augenblicke mit meinen Lieben kostbar sind. Ich möchte mich darin üben, diese Momente in Achtsamkeit zu verbringen und mich für sie zu öffnen, wann immer mir dies möglich ist!
Rückfahrt (12. Juni 2022)
Auch dieses Seminarwochenende, wie vor 6 Wochen, endet mit einem verspäteten IC auf der Heimfahrt.
Interessanterweise erlebe ich das aber als angenehme Verlangsamung.
Ich freue mich wieder sehr auf zu Hause, und darauf wieder mit einem Großteil meiner Familie zusammenzukommen!
Für die nächste Zeit will ich auch gar nicht weg, sondern erstmal mein Zuhause so richtig aufsaugen!
Ich habe ein paar Ideen, mit denen ich meinen Alltag bereichern möchte und will diese in der kommenden Zeit mal ausprobieren, ob sie als Strategien für mich funktionieren.
Ich bin genauso euphorisch, wie zu dem Zeitpunkt, als ich aus Florenz zurückkam vor einer Woche, und hoffe, dass mir meine Gesundheit diesmal durch meine Pläne und Vorhaben keinen Strich macht.
Ich bin am überlegen, ob meine "Schon-Strategie", wenn es mir körperlich nicht gut geht wirklich hilfreich für mich ist, um zu genesen.
Dieses Wochenende hat mir so gut getan, obwohl ich mich nicht ins Bett legen und den ganzen Tag netflixen konnte :-) Ich bin so vitalisiert durch den Austausch und die Inspiration, die mir das Wochenende gegeben hat, dass ich mir wirklich überlege, ob das vielleicht ein adäquates Mittel sein könnte, gegen meine Rheumabeschwerden: Austausch, Bewegung, Kontakt, Input.
Wäre es vielleicht ein Ausflug in die Hamburger Kunsthalle mit einem Menschen, den das auch interessiert, der die bessere Heilung bei Rheumabeschwerden bieten würde, als ein Tag auf dem Sofa mit Netflix, wenn die Knochen schmerzen und ich mich kaputt und ausgelaugt fühle - hmmmm. So richtig will ich das nicht glauben.
Aber fest steht, diese Art der Arbeit hat für mich etwas Heilendes und Belebendes!
Es ist die gleiche Wirkung, die Florenz an guten Tagen auf mich hatte.
Bin ich zu vorsichtig, zu zaghaft? Oder anders: kann ich mich jetzt, nachdem ich mich 2 Jahre geschont habe wieder mehr trauen? Brauche ich Aktivität, um mich wiederzubeleben?
Wahrscheinlich geht es auch hier wieder um Balance. Um eine gute Verbindung zu dem, was sich mein Körper wünscht (Ich freu' mich auf mein Somatik-Coaching am Dienstag! - Grüße!).
Ich erinnere mich noch dunkel an die Tage, an denen ich es geschafft habe trotz Rheumabeschwerden ins Fitnessstudio zu gehen. Es war immer ein Erfolg, da es mir hinterher viel besser ging. Es war genau das Gefühl, was ich jetzt auch habe: Es ist "etwas" wieder ins Fließen gekommen, was "festgefahren", vielleicht auch "verstopft" war.
So, nun ist mein Akku alle, und da ich das Ladekabel zuhause vergessen habe, bedeutet das, dass ich Schluß machen muss.
Ich schicke Dir ganz herzliche Grüße aus der Gegend kurz vor Münster und freue mich, wenn Du bald wieder mal reinschaust.
Bis dahin: Alles Liebe!
Deine Katrin