Countdown: 16 Tage noch
Ein mulmiges Gefühl, innere Unruhe, Nervosität.
Ich habe mir in meiner Wetter App schon mal Florenz eingefügt: Da tauchen 27 Grad in der 10 Tage Vorschau auf! Damit hatte ich so gar nicht gerechnet.
Nachdem ich gemerkt habe, wie oft ich jetzt schon über meine Packliste nachgedacht habe, habe ich mir neulich einen Plan gemacht. Die erste Ausführung nahm unglaubliche Ausmaße an, da ich die ganze Zeit nur im Kopf hatte, dass ich VIER WOCHEN bleibe und auf ALLES vorbereitet sein möchte.
Ich habe schon seit Jahren den Traum, „wenn ich einmal groß bin“ in der Lage zu sein, mit einem winzigen Koffer wegzufahren. Das werde ich sicherlich dieses Mal nicht schaffen, aber ich möchte gerne daran arbeiten. Also habe ich eine zweite Liste erstellt: Ich habe mir ausgerechnet, dass ich gerne sieben Outfits mitnehmen möchte, die ich dann im Schnitt vier Mal trage, so dass ich für alle 28 Tage etwas zum Anziehen habe ;.)
Ich habe dabei gemerkt, dass das Thema Kleidung für mich total „aufgeladen“ ist. Ich habe die Idee im Kopf, dass mein Monat in Florenz nur dann „schön“ werden kann, wenn ich die richtige Garderobe mit habe! Es geht also nicht darum, für jeden Tag etwas zum Anziehen zu haben, sondern ich glaube, die Qualität damit zu beeinflussen, was ich in Florenz anhabe. - AHA!
Ich sehe mich in einem meiner bunten Kleider, die ich mir im vergangenen Sommer gekauft habe. Das ist ein schönes Bild, das ich da vor meinem inneren Auge habe: Ich tänzelt leichtfüßig bei 25 Grad durch die schattigen Gassen Florenz, braungebrannt (…?), mit langem, vollem Haar (…?), bloßen Armen, ohne schweren Rucksack, mit Adleraugen (also ohne Blindenstock) und mit dem beschwingten Lebensgefühl aus meinen 20ern.
Okay, da ist dann wohl doch viel Traumtänzerei dabei!
Was entfernt mich denn von diesem Traumbild?
Es ist viel Angst dabei. Vielleicht ist das Wort „Angst“ zu groß, aber es kommt dem Gefühl schon sehr nahe: Ich möchte mich schützen!
Es ist ziemlich viel, das ich beachten muss/sollte: Meine Rheumatologin warnt vor Sonneneinstrahlung, da es einen Rheumaschub auslöst, die Augenärzte wissen, dass zu viel UV Licht meine Netzhautzerstörung vorantreibt, meine Hautärztin warnt ebenfalls vor Sonneneinstrahlung.
Alleine diese Faktoren bedeuten für mich: Sonnencreme, Sonnenschutzkleidung, Sonnenhut alternativ Sonnenschirm, Sonnenbrille. Dann kommen noch die Utensilien dazu, die ich mit mir führen möchte, um mein Sehdefizit auszugleichen: Lupe, Blindenstock und Lesebrille, Handy und Kopfhörer für die Navigation und Orientierung in der Fremde.
Das ist ne Menge Zeug! Aber auf was davon will ich verzichten? Auf was kann ich verzichten? Wenn ich nun also das Bild mit dem Sommerkleid von eben mal realistisch betrachte, dann habe ich also auf der Nase eine Sonnenbrille, auf dem Kopf einen Hut, um die bloßen Schultern einen UV-Schutz-Schal, in der einen Hand einen Blindenstock und auf dem Rücken einen Rucksack mit Ersatzsonnencreme, Handy, Monokular (einäugiges Fernglas), Lupe und meinen Calciumtableeten, weil das Führen des Blindenstocks mit meinem zu geringem Calciumhaushalt bei mir zu Krämpfen in den Händen führt.
Aber ganz tief drinnen, da ist noch etwas, was die beiden Bilder, das Traum-Bild und das Realitäts-Bild gemein haben: Das beschwingte Lebensgefühl meiner 20er Jahre!
Ja, ja, natürlich ist das nicht immer da, aber es schlummert unter der Angst vor Ablehnung und Ausgrenzung.
Wenn ich weiter übe, mein Realitäts-Bild anzunehmen und mich so zu akzeptieren, wie ich nun einmal bin und meine Bedürfnisse zulasse, dann werde ich einsehen, dass andere Menschen mich viel selbstverständlicher akzeptieren, als es mir selbst gelingen mag.
Und wieder ist es für mich am Wichtigsten, dass ich mir Zeit gebe für dieses Üben und mitfühlend mit mir umgehe während dieses Adaptionsprozesses.
Wie viele Menschen gibt es denen schon die Tatsache eine Lesehilfe nutzen zu müssen, Schwierigkeiten bereitet. Genauso schwierig ist die Neuanschaffung von Hörgeräten, Gehhilfen, Rollstühlen und Blindenstöcken. Es geht halt immer um die Justierung des Selbstbildes, und das ist harte Arbeit!
Ich war heute beim Frisör und wurde auch hier einmal mehr mit der Realität konfrontiert: Vor ungefähr 6 Jahren begannen meine Haare auszufallen.
Es gibt zahlreiche Möglichkeiten, die die Ursache dafür sein könnten: mehrere Medikamente und gleich mehrere meiner chronischen Erkrankungen kommen hierfür infrage. Ich beobachte, dass ich mit jedem mittelschweren Rheumaschub, von denen ich in den vergangenen Jahren so im Schnitt 2 bis 3 pro Jahr hatte, 0,5 cm meiner „Haarlinie“ eingebüßt habe. Mit anderen Worten, meine Stirn wird immer höher und auch die Harre an meinen Schläfen und Augenbrauen sind fast komplett weg.
Ich hatte mich sogar schon mal in einem Perückenladen erkundigt, welche Lösungen man mir vorschlägt. Aber ich habe mich nun dafür entschlossen, offensiv mit dem Verlust meiner Haare umzugehen. Das ist an manchen Tagen einfach, an anderen macht es mich traurig und wehmütig.
Auch das Thema ist also ein gutes Übungsfeld, mein Selbstbild zu aktualisieren. Wieder einmal geht es für mich darum, sich klar zu werden, was wirklich glückbringend ist: „Glück ist, wenn einem auffällt, das nichts fehlt.“ (aus Gregor Meyles Lied „Die wunderschönsten Dinge“)
Es ist doch aber wirklich so, dass das, worauf es ankommt, was uns wirklich glücklich macht, so wenig mit Vorbereitung, mit Äußerlichkeiten zu tun hat oder mit Geld zu kaufen ist. Aber richtig glauben tue ich das anscheinend noch nicht. Da werden dann schnell noch zwei T-Shirts gekauft, obwohl im Keller Berge von Kleidung darauf wartet entsorgt zu werden.
Das Gefühl sich durch Konsum vorzubereiten, sich zu wappnen ist bei mir sehr ausgeprägt. Aber wie so oft, ist das Gewahrwerden dieser Marotten der erste Schritt, um mein Verhalten zu ändern.
Und so will ich liebevoll zu mir sein, wenn ich mir durch mein schütteres Haar streiche und mir im Spiegel zulächle, während ich feststelle, dass ich zwar nicht mehr wie 20 aussehe aber da immer noch die verspielte Leichtigkeit meiner 20er Jahre in mir
tanzt!