DER GARTEN

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Lernen um Hilfe zu Bitten

Photo: Unsplash

Der März war ziemlich anstrengend für mich, da er dominiert war von Kriegsängsten, Zweifeln, ob ich in den Urlaub fahren darf (Ukraine), Zweifeln, ob ich in den Urlaub fahren kann (Corona) und ob ich überhaupt in der Lage bin, einen Urlaub alleine zu bewältigen (Sehbehinderung, Glutenunverträglichkeit, Rheuma, …).

Bis zum 5. April hatte ich Zeit, den Urlaub noch kostenfrei zu stornieren, und ich bin so manche Nacht aufgewacht, mit dem Gedanken, wie komfortable und angenehm es doch wäre, einfach alles abzusagen und in meinem schönen kleinen Zuhause zu bleiben, wo ich es doch eigentlich ganz gut habe!

Aber dann habe ich mich wieder daran erinnert, warum ich das alles machen möchte: Ich möchte mir beweisen, dass ich es kann!

Ich möchte lernen, wie schon einmal beschrieben, meinen Ängsten zuzuhören und mich, um sie zu kümmern. Ich möchte lernen um Hilfe zu bitten, was ich nämlich überhaupt nicht kann.

Als erstes habe ich mit der Fluggesellschaft Kontakt aufgenommen, um eine sogenannte “Assistenz” zu beantragen. Ohne weiteren Nachweis wurde mir die Assistenz “genehmigt”, so dass ich nun in Hamburg vom Check-in, durch die Security zum Gate begleitet werde, in Amsterdam vom einen zum anderen Flieger gebracht werde und mir in Florenz vom Flugzeug bis zur Ankunftshalle eine Begleitung zur Seite steht. Ich bin sehr gespannt, ob dass alles so reibungslos klappt, wie es angekündigt ist.

Ich war sehr froh, dass ich mich dazu entschlossen habe, mich darum zu kümmern und bemerkte, dass es mir sehr viel Erleichterung brachte … und Platz für neue Ängste :-).

Zwischenzeitlich hatte ich mich im Internet belesen und festgestellt, dass Italien das absolute Traumland für Menschen mit Zöliakie ist. Ich fand diverse Internetseiten und Blogposts mit Restaurantempfehlungen, Einkaufsmöglichkeiten für glutenfreie Lebensmittel, sogar eine Bäckerei. Es gibt zahlreiche Eisdielen, die glutenfreies Eis verkaufen, Restaurants mit extra Öfen, in denen kontaminationsfrei ausschließlich glutenfreie Pizzen gebacken werden! Der absolute Hammer - davon träumt mann in Deutschland nur.

Und auch auf der Sehbehinderten-Schiene gab es für mich gute Nachrichten: Eine Mitarbeiterin der Uffizi Galerien bestätigte mir per Mail, dass ich mit einem deutschen Schwerbehindertenausweis kostenlos in das Museum komme und bei einem gesonderten Eingang Einlass erhalte, ohne langes Warten. Große Freude!

Ich bekam Lust, während meines Aufenthalts mehrmals die Uffizi Galerien zu besuchen und mir in aller Ruhe ein paar ausgewählte Kunstwerke anzuschauen. Im Museum gibt es auch, wie so häufig einen Audioführer, den man sich leihen kann. Das werde ich bestimmt in Anspruch nehmen.

Aber noch war alles stornierbar …!

Und dann kam der Tag, an dem ich mir einen Reiseführer über Florenz kaufte: Florenz - Lieblingsorte. In dem Buch beschreibt Autorin Birgit Haustedt ihre kleinen Geheimtipps von Florenz. Die kleinen Geschichten zu den Orten haben bei mir die Vorfreude wachsen lassen, und Angst und Zweifel wurden kleiner.

Langsam kam der Gedanke: “Wow - Ich glaube ich fahre wirklich für 1 Monat nach Florenz!”

Wieder bin ich nachts aufgewacht. Diesmal mit Ängsten über die Ankunft in Florenz. Mir ist klar, dass für mich die Reise nach Florenz körperlich sehr anstrengend werden könnte, und ich befürchte, dass auch meine Rheumagelenke mich nur wenig unterstützen können, mein Gepäck zu tragen oder die Reise vom Florenzer Flughafen mit öffentlichen Verkehrsmitteln zu bewältigen. Also stand fest: Ich möchte einen Fahrdienst.

Alleine schon die Suche nach einem Taxi gestaltet sich für mich schon sehr schwierig, wenn nicht gar unmöglich. Und dann noch abgespannt, in einer Fremdsprache mit einer/m FahrerIn verhandeln wo man hinmöchte, ihn/sie bitten, das Gepäck bis vor die Wohnungstür zu trägen oder gar beim Chck-in behilflich zu sein, falls ich visuelle Unterstützung brauchen würde, war für mich eine äußerst unangenehme Vorstellung.

Dann hatte ich die Idee, meinen AirBnB Host um Unterstützung zu bitten. Unglaublich, was mich das für Mut gekostet hat. Das Ergebnis: Mein “Superhost” möchte noch nicht einmal Geld für den Transfer haben und wird mich nun also abholen, mir bei den Koffern helfen und mir die Wohnung zeigen. - Das ist wirklich eine tolle Belohnung, die ich erhalten habe fürs Mutig-Sein!

Ich war sehr glücklich, aber gleichzeitig fühlte ich mich auch sehr unwohl, dass “ich ihm solche Umstände mache” - Wahnsin! Der Satz kommt von meiner Oma, Gott hab’ sie selig! Keine Umstände machen, dass war ihr immer sehr wichtig, und ich habe es von ihr geerbt.

Jetzt folgt eine neue Herausforderung: Ich muss meinem “Superhost” noch erzählen, dass ich am Flughaven die mit dem Blindenstock bin, da ich das ihm gegenüber noch gar nicht erwähnt habe. Angstschweiß, wache Stunden nachts im Bett: “Vielleicht gibt er mir gar nicht die Wohnung, weil er Angst um sein Eigentum hat, da ich doch nichts sehe!”, “Sicherlich wird er sich unwohl fühlen, weil er nicht weiß, wie er mit mir umgehen soll. Dann bin ich auch noch daran schuld, dass er sich unwohl fühlt!” UNGLAUBLICH - Wo kommt das denn bloß alles her?

Aber ich nehme den Rat eines weisen Mannes an und gebe mir Zeit: Wenn ich erst die ersten Trainingsstunden mit dem Blindenstock in der Öffentlichkeit hinter mir habe, dann wird sich sicherlich vieles für mich entspannen. Hoffentlich!

Ich lege mich fest: Die erste wirkliche Investition

In Italien gibt es eine Vereinigung von Hobbyköchen und Hobbyköchinnen namens “Cesarine”, die unter anderem Einkaufstouren über italienische Wochenmärkte und gemeinsames Kochen von italienischen Spezialitäten an ihrem heimischen Herd anbieten. Auf der Internetseite hab ich dann auf der Suche nach glutenfreien Angeboten eine “Street Food Tour” gefunden und gebucht: Drei Stunden durch Florenz spazieren, die Stadt kennen lernen und dabei glutenfreie Spezialitäten genießen - Yeay!

Mit der Bezahlung habe ich einen Fragebogen erhalten, der das Ziel hat, das Erlebnis auf meine Bedürfnisse anzupassen. Hier habe ich angegeben, dass ich glutenfreie Kost benötige und auch, dass ich sehbehindert, aber nicht “vollblind” bin. In den kommenden Tagen erhalte ich dann eine Nachricht mit der Terminbestätigung und weiteren Informationen.

Als Terminwunsch habe ich den ersten Tag nach meiner Ankunft angegeben, da ich dann durch die Tour auch gleich meine erste kleine Stadtführung zur Orientierung habe.

Gerade stöbere ich in der Textsammlung “Mit Hermann Hesse durch die Toskana”: 1901 besuchte er unter anderem für eine längere Zeit Florenz: Die Berichte über seine zahlreichen Besuche in den Uffizien, die Beschreibung einzelner Kunstwerke und die Berichte seiner “entschleunigenden” Besuche in den Boboli Gärten, geben mir Ideen, wie ich meinen Florenzaufenthalt gestalten kann und welche Dinge ich in diesem Monat in den Fokus rücken möchte.

Die Reisevorbereitungen fangen an Spaß zu machen!