DER GARTEN

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Auch der Dalai Lama hat Bedürfnisse

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2018 habe ich meine erste Fortbildung zum Thema Gewaltfreie Kommunikation nach Marshall B. Rosenberg in Verbindung mit Achtsamkeitspraxis in der Tradition von Thich Nhat Hanh gemacht.

Damals habe ich gedacht, und der Irrtum hielt lange an, dass es im Buddhismus darum geht, sich seiner Bedürfnisse “zu entledigen”.

Ich dachte, Bescheidenheit bedeutet, keine Bedürfnisse (mehr) zu haben oder zumindest in der Lage zu sein, sie im Griff zu haben.

Ich habe mich jahrelang für bestimmte Bedürfnisse geschämt, die sich zu den unmöglichsten Zeiten bemerkbar machten. Ich habe sie unterdrückt. Sie waren nicht passend, ich wollte nicht so viel Aufhebens machen, nicht auffallen, mich anpassen oder hatte einfach nur keine Lust auf Kämpfen, um etwas durchzudrücken, was mir geholfen hätte, mein Bedürfnis zu befriedigen.

Krankheit war ein komfortables Schutzschild: Wenn ich sagte, dass ich krank bin, konnte ich all die Strategien fahren, die mir mein Bedürfnis nach Ruhe, Erholung, Umsorgtsein etc. zu nähren.

In meiner Welt durfte man sich nur ausruhen, wenn man krank war. Wenn man es tat ohne krank zu sein, war man faul! Ich brauchte eine “Ent*schuldigung”, um nicht das tun zu müssen, was ich versprochen hatte oder was ich glaubte, das es andere von mir erwarteten. Entweder ich funktionierte oder ich musste krank sein!

In der Gewaltfreien Kommunikation gibt es die Grundannahme, dass alle Menschen die gleichen Bedürfnisse haben: Bedürfnisse sind universell. Sie sind unabhängig von Orten, Personen oder Zeiten. Sie sind gleichwertig und sie dienen dem Leben. Sie sind immer abstrakt, d. h. sie unterscheiden sich von konkreten Handlungen zum erfüllen eines Bedürfnisses (= Strategie).

Ich habe also kein Bedürfnis nach Schokolade oder pancakes, sondern muss tiefer schauen, um herauszufinden, welches individuell völlig unterschiedliche Bedürfnis sich dahinter versteckt.

Als ich neulich jemandem den Unterschied zwischen Strategie und Bedürfnis beschrieb, habe ich etwas erklärt, was mir bis dahin so deutlich noch gar nicht bewusst war:

Auch der Dalai Lama hat die gleichen Bedürfnisse wie alle anderen Menschen! (These ;-)

Es geht also nicht darum, die eigenen Bedürfnisse zu unterdrücken oder wegzudiskutieren oder -analysieren (Letzteres eines meiner Hobbys!), sondern darum, welche Wege (= Strategien) ich entdecke, um meine Bedürfnisse zu nähren/befriedigen!

Wenn ich an Thich Nhat Hanh denke, dann fällt mir ein, wie er durch Achtsames Essen lehrt, sich der Sonne, des Wassers, der Erde bewusst zu werden, die es braucht, um die Nahrungsmittel hervorzubringen. Er fordert uns auf, tief zu schauen, um die Liebe zu entdecken, die die Menschen in die Zubereitung des Essens gesteckt haben. Durch Achtsamkeit wird klar, wie viel verschiedene Umstände und Bedingungen zusammenkommen mussten, damit ich dieses Essen, das vor mir steht, überhaupt genießen kann.

Das hat dann aber wohl weniger etwas mit Bescheidenheit oder Kasteiung zu tun, als mit gelebter Wertschätzung und Achtsamkeit.

Die Kultivierung dieser Art der Bewusstheit, kann einen dann dazu befähigen, mit einer Schale Reis diverse Bedürfnisse zu nähren (These :-).

Nun gut, die Theorie ist mir also bekannt und trotzdem:

Gerade am Nachmittag, wenn mein Energielevel manchmal schlagartig abfällt oder aber, wenn wir gemütlich vor dem Fernseher sitzen oder aber wenn es mir mental schlecht geht oder besonders gut geht, dann möchte ich ESSEN!

Hier geht es dann immer um “comfort food”: Eis, Kinderschokolade, Vanillepudding, Chips etc.

Ich versuche in letzter Zeit verschärft tief zu schauen, um herauszufinden, welches Bedürfnis dahinter steckt. Aber bereits das genaue Schauen wird schnell von mir selbst sabotiert, in dem ich mir, frei nach dem Motto “Das habe ich mir ja wohl verdient!” irgendetwas zwischen die Kiemen schiebe.

Wenn es eine erfolgreiche Strategie wäre, um dieses Bedürfnis (ist es das nach Geborgenheit?) zu nähren, dann wäre das ja kein Problem. Leider ist es jedoch so, dass ich mich anschließend schlechter fühle und es auch gesundheitlich für mich negative Auswirkungen hat, wenn ich mich wieder und wieder so verhalte.

Vielleicht liegt der Schlüssel darin, dass es nicht ein Bedürfnis ist, das ich mit der Strategie “Süßes essen” befriedige, sondern immer unterschiedliche. Mal ist es RUHE oder GEBORGENHEIT, mal FEIERN, mal TROST oder TRAUER, mal GEMEINSCHAFT oder FÜRSORGE.

So wird mir klar, dass meine Ersatz-Strategie (10 Minuten Meditieren) an diesen Nachmittagen vielleicht nur greift, wenn es um RUHE/ENTSPANNUNG geht, aber nicht funktioniert, wenn mein Bedürfnis nach GEMEINSCHAFT genährt werden will.

Also geht die Suche und das tiefe Schauen weiter!

Wichtig ist mir, nett zu mir zu sein, wenn es dann doch mal wieder das Eis ist, zu dem ich greife, weil mir noch nichts besseres eingefallen ist.